Im Kanton Genf wurde ein 2006 geborener Jugendlicher wegen schwerer Körperverletzung und Gewaltdarstellung zu einer Strafe und Schadenersatzzahlungen von über 38.000 Franken verurteilt. Das Opfer legte gegen dieses Urteil Berufung ein. Die Präsidentin der Berufungskammer setzte das Verfahren jedoch im Mai 2025 aus, bis alle anderen mit dem Fall verbundenen Verfahren gegen insgesamt elf Jugendliche abgeschlossen seien.
Der verurteilte Jugendliche wehrte sich gegen diese Aussetzung mit der Begründung, sie verletze sein Recht auf ein zügiges Verfahren. Das Bundesgericht gab ihm nun Recht – allerdings aus einem formalen Grund: Die Gerichtspräsidentin hatte ihre Kompetenzen überschritten. Laut Strafprozessordnung darf nur das komplette Richtergremium ein Verfahren aussetzen, nicht die Verfahrensleitung allein. Die Entscheidung hätte von der gesamten Berufungskammer mit ihren drei Richtern und zwei Beisitzern getroffen werden müssen.
Das Bundesgericht betonte, dass der Gesetzestext klar sei und es keine Rechtfertigung gebe, davon abzuweichen. Praktische Schwierigkeiten bei der Entscheidungsfindung im Richtergremium seien kein ausreichender Grund, vom Gesetzestext abzuweichen. Die Aussetzungsverfügung wurde daher aufgehoben und der Fall zurückgewiesen. Ob inhaltlich tatsächlich Gründe für eine Aussetzung vorlagen oder ob das Beschleunigungsgebot verletzt wurde, ließ das Bundesgericht offen.